„Als Knecht möchte ich nie wieder leben“, beschloss Herta Müller letzten August eine Rede in Münster zum Zustand der Demokratie und bezog sich dabei auf den zynischen Satz des Moskauer Patriarchen Kyrill, Freund und Berater Putins: „Ein Knecht Gottes geht nicht wählen, sondern nimmt demutsvoll sein Los an.“ Das Leben in der Knechtschaft der rumänischen Nachkriegsdiktatur hat die Nobelpreisträgerin geprägt. Der Krieg Russlands gegen den Westen erinnert uns nun alle wieder schmerzlich daran, dass man Freiheit und Individualität nicht gratis bekommt. „Entsetzlicherweise gibt es in Westeuropa Leute, die sich einen Despoten wünschen“, empörte sich Herta Müller in einem Interview kurz nach Putins Überfall auf die Ukraine. „Wie kann man in einer Demokratie so verwahrlosen?“ Eine Frage, die mit steigenden Belastungen der europäischen Bevölkerung immer aktueller wird – obwohl diese weit entfernt ist vom Leid der Ukraine. Umso wichtiger, sich stark zu machen gegen Verlockungen der Gleichgültigkeit und Käuflichkeit: „Ich kann niemandem Trost geben“, sagte Müller im März, „aber ich muss davon erzählen, was ich erlebt habe. Dass Diktaturen ein Muster haben, das sich immer wiederholt, dass sie den Menschen kaputt machen.“ Nur wenn man totalitären Systemen und ihren Diktatoren entgegentritt und verhindert, dass ihre Gedanken auf die Demokratie übergreifen, kann man den Zivilisationsgewinn der letzten Jahrhunderte bewahren: „Besser ist es, von Anfang an darauf zu achten, dass man sich nicht schuldig macht, als später auszusteigen“, meint Herta Müller. „Wer sich einmal arrangiert hat, den hat es oft noch schlimmer getroffen. Auch für Putin sind Verräter das Allerschlimmste, schlimmer als der Feind.“
Florian Felix Weyh
Aula