Plötzlich taucht eine Familiengeschichte aus der Versenkung auf: Da gab es doch diesen wohlhabenden Großonkel in Österreich, der in einem eleganten Palais wohnte, Kommerzialrat war, Kunst sammelte und eine wichtige Rolle im Wiener Gesellschaftsleben um 1930 spielte? Sogar auf höchster Ebene finanzielle und juristische Ratschläge erteilte? Onkel Isidor hatte es weit gebracht, denn er stammte ursprünglich aus einem Schtetl im hintersten Galizien. Der weltläufige Kommerzialrat Dr. Isidor Geller reüssierte auf allen Ebenen und genoss seinen Triumph – bis ihm die Nazis einen Strich durch sein sorgfältig inszeniertes Leben machten. Die Journalistin Shelly Kupferberg, 1974 in Tel Aviv geboren und Westberlinerin, greift in ihrem literarischen Debüt „Isidor“ einen Stoff auf, den sie nur vom Hörensagen kannte. Aus Erzählungen, Erinnerungen, Briefen und Archivmaterialien formt sie einen Roman, der mehr als eine Spurensuche bietet: „Isidor“ ist auch der Versuch, eine historische Katastrophe aus einem individuellen Schicksal heraus zu beleuchten. Wie rasch sich in Zeiten des Krieges gesicherte Verhältnisse auflösen können und auf einmal keine Regel mehr gilt, ist eine Erkenntnis aus diesem Roman. (M. A.)
Veröffentlichung (Auswahl):
– „Isidor. Ein jüdisches Leben“, Diogenes, Zürich 2022