Ein schwungvoll geöffnetes Leporello, so tritt einem Fatma Aydemirs zweiter Roman „Dschinns“ entgegen. Die Geschichte der Familie Yılmaz Ende der 1990er Jahre verteilt sich auf mehrere Perspektiven, und für jeden stellt sich die Lage vollkommen anders da. Der Vater Hüseyin hat sich nach 30 zerschleißenden Arbeitsjahren eine Eigentumswohnung in Istanbul gekauft – aber er kommt gar nicht mehr dazu, seinen Triumph zu genießen, denn kaum angekommen, fällt er um und stirbt. Sein Tod führt zu einer unfreiwilligen Familienaufstellung, bei der auf einmal Abgründe klaffen: Die älteste Tochter Sevda, eine erfolgreiche Gastwirtin, hat noch eine Rechnung mit ihren Eltern offen, Hakan weicht mit seinem schmissigen Draufgängertum vor allem sich selbst aus, die kämpferische Peri verdeckt mit militantem Akademikertum ihre Verletzlichkeit, der jüngste Sohn Ümit spürt ein falsches Begehren, während die Mutter Emine die Versäumnisse ihres Lebens nicht länger verleugnen kann. Nach ihrem gleißenden Debüt „Ellbogen“ von 2017 legt Fatma Aydemir, 1986 in Karlsruhe geboren, Redakteurin und Kolumnistin bei der taz, mit „Dschinns“ einen eindringlichen Roman über die zerstörerische Kraft von Geheimnissen und Entwurzelung vor. (M. A.)
Auszeichnungen u. a.: Klaus-Michael-Kühne-Preis (2017), Franz-Hessel-Preis (2018), Stipendium Villa Aurora, Los Angeles (2019), Robert Gernhardt Preis (2020).
Veröffentlichungen (Auswahl):
– „Ellbogen“, Roman, Hanser, München 2017
– „Ein Zimmer am Flughafen“, Erzählung, in: Lina Muzur (Hrsg.): „Sagte sie. 17 Erzählungen über Sex und Macht“, Hanser Berlin, 2018
– „Eure Heimat ist unser Albtraum“, Hrsg. zus. mit H. Yaghoobifarah, Ullstein, Berlin 2020
– „Dschinns“, Roman, Hanser, München 2022