Es ist ein klassisches Debattenthema seit Jahrhunderten: „Sobald ein Mensch das Notwendige besitzt, bedarf er nur eines gewissen Seelenadels, um auf das Überflüssige verzichten zu können“, befand im 18. Jahrhundert der Schweizer Philosoph Benjamin Constant. 200 Jahre später klingt das Echo darauf schon weitaus galliger: „Um irgendwen in Empörung zu versetzen, genügt es heutzutage, ihm vorzuschlagen, er solle auf etwas verzichten“, lautet ein Aperçu des konservativen Aphoristikers Nicolás Gómez Dávila. Verzicht predigen ist leicht, Verzicht üben dagegen schwer. Wie gewinnt man den „Seelenadel“, um Überflüssiges entbehren zu können? Die Crux liegt ja schon in der Definition des Überflüssigen. Doch nun – Krieg und Klimawandel – ist der Verzicht keine freiwillige Sache des inneren Adels mehr. Er wird kommen, so oder so: Verzicht auf Energieverbrauch, damit auf Komfort; Verzicht auf teure Lebensmittel, damit auf Genuss; Verzicht auf Mobilität, damit auf Bewegungsfreiheit und liebgewordene Gewohnheiten. Wo stößt der Verzicht an die Grenzen der Armut? Für wen ist Verzicht leicht, für wen kaum tragbar?
Florian Felix Weyh
Philipp Lepenies: Verbot und Verzicht. Politik aus dem Geiste des Unterlassens. Suhrkamp. Berlin, Mrz 2022
Mit Übertragung in Gebärdensprache